Leben gestalten – Lobpreis mal anders

Tanzen

 

  • Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zur Gemeinschaft.
  • Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele.
  • Tanz ist Verwandlung des Raumes, der Zeit, des Menschen, der dauernd in Gefahr ist zu zerfallen, ganz Hirn, ganz Wille oder ganz Gefühl zu werden.
  • Der Tanz dagegen fordert den ganzen Menschen, der in der Mitte verankert ist. Der nicht besessen ist von der Begehrlichkeit nach Menschen und Dingen, noch von der Dämonie der Verlassenheit im eigenen Ich.
  • Der Tanz fordert den befreiten, den schwingenden Menschen im Gleichgewicht aller Kräfte. Ich lobe den Tanz!
  • O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!

           Augustinus

 

Prägnanter, als mit diesem – dem Kirchenvater Augustinus (354-430 nach Christus) zugeschriebenen – Text, lässt sich kaum ausdrücken, was es bedeutet, in der Gemeinde zu tanzen. Erleben von Gemeinschaft und Konzentration auf das Wesentliches und zugleich in Bewegung sein, bewegt sein mit Körper, Seele und Geist.

TanzenSeit über 25 Jahren ist das „Reigentanzen“ fester Bestandteil unter den vielfältigen Angeboten der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Siegen-Weidenau. Woche für Woche treffen sich bis zu vierzig Teilnehmer im Tanzkreis, um miteinander „im Tanz das Leben gelingen zu lassen“. Getanzt werden Kreisreigen internationaler Folklore, sowie jüngere Choreographien teils meditativer Art. Dabei sind die Gemeindemitglieder nicht in der Überzahl. Das offene Angebot für Jung und Alt versteht sich als Einladung an alle Menschen, die auf der Suche sind – auf der Suche nach christlicher Gemeinschaft, seelischer Entlastung und Erbauung sowie körperlicher Stärkung.

tanz2Unter religiösen Tänzen versteht Kerstin Kuppig: „Tänze, die der Mensch verwendet, um seine Religiosität, seinen Glauben auszudrücken“ – „Tänze, in denen biblische Geschichten oder religiöse Themen/Lieder versinnbildlicht und ausgedeutet werden.“

Bei anderen Tänzen werden alltägliche Themen behandelt, wie Orientierung in Raum und Zeit, Begegnung und Abschied, Einteilung der Kräfte, Selbsterfahrung und Gruppenerfahrung, Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlen. Manche Tänze handeln vom Pflügen und Säen, feiern den Frühling und die anderen Jahreszeiten; es gibt Tänze zur Passion, zur Auferstehung zu Weihnachten. Da ist der Tanz der Elemente, der Hochzeitstanz, der Tanz der Weide, das Mirjamlied. Gegenstände, die Menschen früher im Tanz gefeiert haben, erinnern daran, dass es viel mehr Anlässe zu Dankbarkeit, Lobpreis und Lebensfreude gibt, als oft bewusst ist.

Wir verstehen den „Folkloretanz für Jung und Alt“ als Lobpreis mit Körper, Seele und Geist, als Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat und als diakonischen Dienst an Gliedern der Gemeinde und an Bewohnern des Stadtteils. Bewegungsmangel sowie Prozesse der Vereinsamung und Verelendung werden als Probleme erkannt, denen vor allem Menschen jenseits der Berufstätigkeit zunehmend ausgesetzt sind.

TanzenKirchen haben mit ihrer Orientierung am Evangelium, das den ganzen Menschen meint, eine Perspektive, um Menschen in Not körperlich, seelisch und sozial zu dienen. Wir sind dankbar, dass wir den Tanz als Möglichkeit entdeckt haben, um Menschen in dieser Weise ganzheitlich zu dienen. Wir freuen uns, dass es immer wieder vorkommt, dass Leute sagen „mein Arzt hat mir dringend empfohlen, hierher zu kommen“.

TanzenMiteinander das Leben feiern und Lebensfreude teilen, aber auch Trauer und Leid tragen, findet im Tanz symbolischen Ausdruck. Die Teilnehmer des Tanzkreises bringen ihre Gemütsverfassung, ihr momentanes Sich-in-der-Welt-befinden nach außen, sie bewegen es aus sich heraus, teilen sich Gott und den anwesenden Menschen mit. Zugleich findet eingebunden in die Choreographie des jeweiligen Tanzes eine Bewegung von außen nach innen statt: Indem alle die Bewegung in einer vorgegebene Struktur und an der Musik orientiert teilen, formulieren sie eine Botschaft, die lautet: Du bist nicht allein; du bist aufgehoben im Kreis von Menschen, die mitfühlen und miterleben, und so, wie die Musik uns alle durchdringt, ist Gottes Liebe gegenwärtig.

Angeleitet wird die Gruppe von einem Musiktherapeuten und zwei Musiktherapeutinnen. Diese nehmen jeweils eine thematische Zusammenstellung des 90-minütigen „Tanzprogramms“ vor und begleiten die Gruppe, indem sie Bezüge zwischen Tanz und Alltagserleben herstellen. In der Gruppe schwingt etwas mit, was die Menschen auf besondere Weise berührt, und das ist nicht der Tanz allein, sondern das Angenommen- und Rückgebunden-sein. Zur „Kultur“ der Gruppe gehört die Anteilnahme. Man achtet aufeinander und ist füreinander da. Man erinnert an kranke Teilnehmer, es werden Besuche organisiert oder Kartengrüße verschickt. Manche Teilnehmer bitten um Unterstützung im Gebet bei Krankheit und in besonderen Lebenssituationen.

Teilnehmer äußern sich über den Tanz in der Gemeinde wie folgt: „Dieses Angebot tut meiner Seele gut!“ „Die Gruppe hat mich nach dem Tod meines Mannes aufgebaut.“ „Beim Folkloretanz vergesse ich Schmerzen und Einsam­keit.“

Hartmut Kapteina